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Gottfried Kinkel


Gottfried Kinkel (1815-1882)

  • Gast im Clouthschen Hof



Gottfried Kinkel


Rheinwein

von Gottfried Kinkel (1838)

Zu Ingelheim im Rheingau
Kaiser Karolus stand:
Weit gingen seine Blicke
Rings auf das schöne Land;
Die Sonnenstrahlen fielen
Auf Rüdesheim hinab,
Doch deckte Schnee die Halde,
Sie schien ein weißes Grab.

Da sah der Kaiser staunend
Wie schnell der Schnee entwich
Am Rande des Johannisbergs
Vom warmen Sonnenstich.
Ei, sprach bei sich der Alte,
Ein Segensland ist das:
Wo solche Kräfte wirken,
Da wächst auch mehr als Gras.

Kunrat, alter Kunrat,
Rief er dem Knappen zu:
Hast oft mir treu gedienet,
Mußt nochmals aus der Ruh.
Sattle deinen Renner
Morgen bei Tages Glanz:
Du sollst mir Botschaft werben
Zu Frankreichs Orleans.

Sage den guten Bürgern:
Man lobet euern Wein;
Des sähen wir einen Weinberg
Gern an unserm Rhein.
Einen Senker sollt ihr uns schicken:
Und wenn das Werk gedeiht,
Orlänner soll er heißen
Bis auf der Enkel Zeit!

Der Schnee, der ist zerflossen,
Da kommt der Kunrat heim,
Der Kaiser selbst im Nachen
Steuert nach Rüdesheim.
Da ward dein Reben, Orleans,
Gepflanzt in rheinisch Land:
Drum ist der Wein so königlich,
Ihn senkte Kaisers Hand.

Herbst war gekommen
Nun zum drittenmal,
Da jauchzt' es um die Berge
Und in dem tiefen Thal.
Die erste Blume der Kelter
Der Kaiser selber trank:
Da ward ihm jung sein Alter,
Sein Leben zum Gesang.

Und was der Kaiser erfahren,
Spürt jeder Rheinlandssohn:
Wir sprechen kühn des Südens
Gepries'ner Traube Hohn.
Feurig, doch ernst und milde,

Kredenzt der Rhein den Saft! –
Feurig, ernst und milde
Blüht seiner Söhne Kraft.